Eine Broschüre in Wort und Bild Andernach und Leutesdorf sind zwei Orte, geteilt durch den Rhein und dennoch miteinander verbunden — davon wird in dieser Broschüre in vielfältiger und facettenreicher Weise erzählt.
Mit diesem Thema beschäftigt sich seit einiger Zeit der Andernacher VHS-Kurs “Schreiben!”, dessen Leiterin die Autorin Gabriele Keiser ist. Das Literaturwerk Rheinland-Pfalz-Saar e. V. war gern bereit, die Schirmherrschaft für dieses Projekt zu übernehmen und die Gruppe zu unterstützen. Das Ergebnis ist eine Broschüre mit Originaltexten und ‑bildern — quasi eine Fortsetzung der Broschüre “Heimat findet man nicht im Duden” der VHS-Schreibgruppe.
“Die Geschichte der Menschheit ist voll von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen
Grenzüberschreitungen in vielen Formen und Facetten. Die deutsche Geschichte stellt in dieser Hinsicht einen Hort mehrfacher Grenzüberschreitungen dar.” So beginnt die Geschichte von Maria Theresia Tilgen-Selt “Als die Welt den Atem anhielt”, ein Text, der die denkwürdige Nacht des 3. November beschreibt.
Es freut uns, dass viele Künstlerinnen und Künstler aus Andernach und Leutesdorf sich an diesem Projekt beteiligt haben. Besonders freut uns, dass Ursula Goldau, eine renommierte und mit internationalen Preisen bedachte Künstlerin, mehrere Beiträge geliefert hat, und zwar in Wort und Bild.
Ursula Goldau lebt sowohl hüben als auch drüben. Sie entstammt dem Leutesdorfer Fronhof, dem ältesten Gebäude des Ortes, das sich noch immer in Familienbesitz befindet, wovon die Geschichte “Als wär´s ein Stück von einem Traum” erzählt. “Sein (Großvaters) großer Traum war die Erhaltung des Fronhofs in der Leutesdorfer Kirchstraße. Die Enkelin und ihr Mann tun alles, was in ihrer Macht steht, diesen großen Traum am Leben zu halten. Auch, wenn sie manchmal daran zu zerbrechen drohen.” (Aufgeschrieben von Gabriele Keiser nach Aufzeichnungen der Künstlerin).
Die Broschüre gestaltet hat der Grafiker (und VHS-Kursteilnehmer) Markus Bäcker, der ebenfalls Beiträge in Wort und Bild geliefert hat. Seine Geschichte “An den Wassern des Styx” geht auf eine historische Aufzeichnung aus dem Jahr 588 zurück und beschreibt ein letztes Blutgericht.
Um das Projekt zu erweitern, wurde der Vorschlag aufgegriffen, Postkarten aus den Motiven der Original-Bilder mit passenden Zitaten zu gestalten, die das Thema “Grenzen überwinden” aufgreifen.
Wir freuen uns sehr, dass viele regionale Sponsoren bereit waren, das Projekt finanziell zu unterstützen. Dies sind: Die Stadt Andernach, die VHS Andernach, die Stadtbibliothek und die Stadtwerke und die Sparkassen Mayen-Koblenz und Neuwied. Ganz besonders freuen wir uns über die Zuwendung des Kultursommers Rheinland-Pfalz sowie der Lotto-Stiftung, die Projekte des Literaturwerks Rheinland-Pfalz-Saar e. V. schon öfter unterstützt haben.
Entsprechend unserem Wunsch nach Nachhaltigkeit wurde die Broschüre in der Druckerei des Heinrichshauses auf umweltfreundlichem Papier gedruckt.
Sobald die coronabedingten Einschränkungen überwunden sind, wird es eine erste öffentliche Vorstellung der Texte und Original-Bilder in der Galerie Carmen Rakemann in der Andernacher Stadthausgalerie geben. Dort wird die Broschüre nach Erscheinen ausliegen. Carmen Rakemann, ebenfalls an der Broschüre beteiligt, gibt gern darüber Auskunft.
Weitere Präsentationen in Verbindung von Ausstellung und Lesungen sind in Leutesdorf und anderen Orten vorgesehen.
Aus dem InhalT
Petra Schmidbauer: Von B nach A
Das Mittelalter, das ich so liebe, scheint überall anwesend zu sein, in jeder
Mauerritze und jedem Fensterrahmen der historischen Altstadt, durch die sich
über lange Strecken eine robuste alte Stadtmauer mit Türmen, Brücken und Toren
zieht. Im Süden bilden ihre Ausläufer eine Open-Air-Shakespeare-Kulisse
mit einem Burggarten voller blühender Rosen und vielfältig bepflanzter Beete,
die sich über den ehemaligen Wall hinziehen, ein Hort von Sonnenwärme und
Grün. Weiter nördlich am alten Stadtgraben hat sich eine friedliche Gänseangeridylle
entwickelt, die den Straßenlärm angenehm mildert. Direkt am Nordende
steht die alte Wehranlage wie eh und je geschlossen und abweisend nach außen.
Zugegeben, das Straßenpflaster eignet sich nicht besonders gut, um dort herumzuspazieren.
Der Boden wölbt und senkt sich, mal aufwärts, mal abwärts, so dass man ständig
auf der Hut sein muss, nicht zu stolpern. Asphaltierte Straßen wechseln sich ab
mit holprigen Gassen, deren Bürgersteige nicht breiter als Schwebebalken sind. Es
gibt viele Treppen, Unter- und Überführungen, wenige flache, gerade Wege, dafür
Erker, Gauben und Balkone überall.
Harald Stoffels: Gespenster über der kleinen Stadt
Er drehte sich wieder um und stieg, ohne auf die beiden Wanderer weiter zu
achten, tiefer in den Hang hinein. Es war doch erheblich steiler als in seiner Erinnerung.
Oder hatte er sich in der Stelle geirrt? Egal, es kam auch gar nicht so darauf
an, von wo genau er das Foto aufnehmen würde. Hauptsache, man konnte die
Brücke, den Rhein und das Dorf im Hintergrund deutlich erkennen. Er kletterte
weiter, blieb einmal mit seiner Jacke an Dornen hängen, machte sich fluchend
wieder frei und schrie leise, als ihm dabei ein Zweig ins Gesicht schlug. Dann sah
er ein graues Etwas schimmern, zwischen zwei dünnen Stämmen hindurch, vielleicht
vier oder fünf Meter schräg unter ihm. Das musste es sein!